Am 14. Januar 1948 sagt Max beim Kriminalamt Gera zu seiner Person im Rahmen des Ermittlungsverfahrens folgendes aus:
Im „Adreß-Buch Gera 1907“ und auch im „Geraer Einwohnerbuch 1931“ ist eine Firma mit dem Namen Fritzsche aufgeführt:
„Fritzsche, Wilhelm (Inhaber: E. Graff, Hoflieferant; Prokurist Oskar Höhne) Kolonialwarenhandlung,
Große Kirchgasse 4. Fernsprechapparat 809″
Es kann davon ausgegangen werden, dass diese Firma in der Zeit von 1900 bis 1904 auch schon bestand, in den Jahren seiner Lehrausbildung zum Kaufmann.
1912 im Januar heiraten Ella und Max. Im Dezember wird ihr erstes Kind Ingeburg geboren. Sie stirbt nach nur 4 Wochen am 16.01.1913.
März 1912 übernimmt Max die Führung der Firma. Aber wie im Handelsregister zu ersehen ist, ist er nicht Alleininhaber (auch als Gesellschafter bezeichnet). Eigentlich ist er nie Alleininhaber, da das eine OHG nicht zu lässt. Seit seinem Eintritt 1912 in die Firma hat er Alleinvertretungsbefugnis!
Im o. g. Einwohnerbuch von 1931 steht unter Firmen-Register:
„Sommermeyer, Gebr., o. H. (Ges.: Ella verehel. Sommermeyer geb. Sandner und Max Sommermeyer), Dampfziegelei Leumnitz, Fernsprecher 264.“
Man hat den Eindruck, dass er zwischen „alleiniger Inhaber“ und „Alleinvertretungsbefugnis“ zu seinen Lebzeiten nie so richtig unterschieden hat (oder wollte).
Da die Brüder Gustav (1907) und Otto (1914) wenige Jahre hintereinander sterben, treten dann die beiden Frauen Agnes, Gustavs Witwe (ab 1907) und Anna, Ottos Witwe (ab 1914) in die Firma ein. Lt. Schriftverkehr des Registergerichts beim Amtsgericht kann während der Kriegszeit 1914 bis 1918 die inzwischen eingetretene Situation der Inhaber (Ottos Tod) nicht im HR abgebildet werden. Ein Notartermin ist nicht möglich, da die Männer „im Feld“ stehen. Erst Ende 1918 wird alles aktualisiert.
Aus dem ersten Weltkrieg kommt Max als Unteroffizier zurück. Über Verwundungen ist nichts bekannt. Er wird mit dem „Eisernen Kreuz zweiter Klasse“ (EK II) sowie mit der „Reußischen Verdienstmedaille mit Schwertern“ ausgezeichnet. Es war üblich, dass bei einer Kriegsauszeichnung ab dem EK daraufhin auch eine Auszeichnung durch den jeweiligen Landesherrn erfolgte.
Von 1921 an war Max Mitglied der Freimaurerloge „Heinrich zur Treue“ in Gera. Diese war eine Johannis-loge. Nach 1926 war er auch Mitglied in der Andreas- und Kapitelloge. Beide sind übergeordnete Logen. Er hat also schnell Karriere gemacht. Vor dem Kriminalamt sagt er aus, dass er 7 Jahre der Loge angehörte. Das wäre bis 1928. Denkbar wäre auch, dass während der Stillstands Zeit des Werkes er seine aktive Rolle in der Loge zurück gefahren hat, bzw. er gleich nach 1933 aus der Loge erst ausgeschieden ist. Grundsätzlich wurden alle Logen 1935 „planmäßig geschlossen“.
Max war seit den zwanziger Jahren auch 1. Direktor der Schützengesellschaft zu Leumnitz e. V. Wie lange er dort in leitender Position tätig war, ist nicht überliefert. 1946 wurden der Verein, wie viele andere auch in Gera bzw. der gesamten SBZ gelöscht, als beendet erklärt. Das noch vorhandene Vermögen, so weit noch „greifbar“, eingezogen.
Dann das Jahr 1930: Vom November an muss das Werk stillgelegt werden. Die finanzierende Bank, der Hallische Bankenverein, wurde in den Strudel der Weltwirtschaftskrise gezogen und ging Konkurs. Er war ohne Einkommen und ging „stempeln“, bezog Sozialgeld. Trotzdem ging er täglich in sein Werk, um nach dem Rechten zu sehen, damit „jederzeit“ wieder angefahren werden kann.
In dieser Zeit entwickelte er auch zwei Patente.
Als dann das Werk im März 1934 nach mehr als 3 1/2 Jahren Stillstand, die Nazis waren nunmehr seit über einem Jahren an der Macht, wieder „loslegen“ kann, hat er sich schnell mit der „Neuen Zeit“ arrangiert.
Es ist nicht nachvollziehbar, warum so viel Zeit verging, bis er das Vertrauen eines Kreditinstitutes gewann, dass ihn die dringend notwendigen finanziellen Mittel zur Verfügung stellte. Nach Aussagen heutiger Freimaurer, speziell des Logenmeisters Mirco Otto in Gera wurden einschlägige, „vorbelastete“ Geschäftsleute “ in der Geschäftswelt „nun geschnitten“. Die Zeiten hatten sich eben geändert.
Das wiederum wäre eine Erklärung, warum sich Max nun mit „aller Kraft“ dieser geänderten Zeit widmete und agil seine Stellung im nationalsozialistischen Deutschland suchte und auch fand. Er wollte nicht als Exot gelten, sondern mit der „Neuen Zeit“ gehen, dazu gehören. Einfach auf der Siegerseite stehen. Er modernisiert (wieder ein mal) sein gesamtes Werk und leistet viel für den sozialen Fortschritt u. a. mit dem Erwerb und dem darauffolgenden Umbau des Gefolgschaftshauses.
Schon bald soll er „um die 30“ Anträge auf Mitgliedschaft in der NSDAP gestellt haben. Doch die Mitgliedschaft wird ihm verwehrt, da er Mitglied der Freimaurer war. Das wird im NSDAP-Handbuch kategorisch ausgeschlossen. Da er sicherlich sehr findig war, geht er den Weg über die Deutsche Arbeitsfront (DAF), gründet eine Werkschar und ist somit defacto Parteimitglied. Die Werkschar untersteht direkt dem jeweiligen Ortsgruppenleiter der NSDAP (hier Leumnitz), denn die DAF ist eine Unterorganisation der Nazipartei.
So viel zur Aussage: „Ich war nie in der NSDAP.“
Jetzt kippt er alle Humanität à la Freimaurer über Bord und verhält sich wie ein 200%er Nazi. Den Satz: „Wir wollen immer als ganze und anständige Kerle handeln“, den er zur Einleitung in der Betriebsordnung von 1939 manifestierte, erfüllt er in den kommenden Jahren immer weniger bzw. gar nicht mehr. Die Güte zu seinen Leuten richtete sich immer nach seiner Auffassung und nach seinem Verständnis für Recht und Ordnung. Seine „Gefolgschaft“, die eigentlich immer wie ein Mann hinter ihm stand, folgte ihm in den Jahren nach 1940 nur noch aus Loyalität zum Arbeitsplatz, den keiner verlieren wollte. Neben der Arbeitslosigkeit droht dann auch der Militärdienst in der Wehrmacht. Und das war gleichzusetzen mit Krieg, Front und drohendem Tod. Wie ist sonst zu erklären, dass so viele „seiner Männer“ vorm Tribunal nach dem Krieg so vernichtend über ihn aussagten.
Es ist äußerst bemerkenswert, wie Max vom aktiven, überzeugten, in der Führungsriege angekommenes Logenmitglied zum aktiven und ergebenen, völlig hörigen Verfechter des Nationalsozialismus und glühenden Verehrer des Führers werden konnte. Zeichnen sich die Logen u. a. durch Gottgläubigkeit und gelebten Humanismus aus, verletzen die Nazis alles was bis dahin an Humanität und Freiheit erkämpft wurde durch staatliche Regulierung, durch tägliche Übergriffe und der rücksichtslosen Verfolgung derer, die sich ihnen in den Weg stellen. Und für alles muss der Jude bezahlen, wird systematisch geknechtet, entehrt, entrechtet, enteignet und am Ende sogar ermordet.
Wie bereitet die kleine jüdische Familie in der Nachbarschaft den Krieg vor?
Irgendwann wurde Max „Reichsfachbeirat der DAF, Fachamt Steine und Erden“. Er war also als Fachmann gefragt. In Max Fotoalbum finden sich einige Fotos von den Zusammenkünften.
Zum 1. April 1937 nimmt die „Gemeinschaft Ostthüringer Ziegeleien e. V.“ seine Arbeit auf. Anhand der Dokumente kann man den Zweck und die Absicht dieser Gemeinschaft nachlesen und so Erkenntnisse zur damaligen Zeit sammeln. Ob Max da auch eine führende Rolle spielte, ist nicht belegt. Aber, wie wir ihn kennen, ist das sicherlich so gewesen. Er ist kein Mann für die zweite Reihe.
Max war also ein Geschäftsmann mit vielen Verbindungen und Verpflichtungen. Heute würde man ihn als guten „Netzwerker“ bezeichnen. Das alles beeinflusste sein Ansehen in der Gesellschaft nachhaltig.
Den Aderlass an männlichen Arbeitskräften durch Wehrmacht und Gestapo kann er nach 1939 nicht mehr kompensieren. Das Werk fällt aus dem von Max definierten Soll und der Gewinn sinkt.
1940 holt Max sich deshalb Fremdarbeiter (besser Zwangsarbeiter) ins Werk. Diese wurden nur auf Antrag vom örtlich zuständigen Arbeitsamt zugewiesen. Da ging, wie das in Deutschland üblich ist, nichts von alleine. Schon gar nicht: „…wurden vom Arbeitsamt eingestellt“. Es war ein bürokratisches Verfahren notwendig, um die sogenannten Fremdarbeiter vom Arbeitsamt zugeteilt zu bekommen. Bevor die Unterbringung incl. Bewachung, Versorgung usw. der Zwangsarbeiter nicht geklärt war, wurden keine Zuwendungsbescheide erteilt.
Zunächst sind es Serben und dann nach 1941 sogenannte Ostarbeiter (bis zu 20 Leute), also Männer aus der Ukraine, Russland bzw. Weißrußland. Diese hat Max nach den Aussagen seiner Leute entsprechend des nationalsozialistischen Kodex als Untermenschen behandelt. Dafür wurden im Rahmen des Ermittlungsverfahrens des Kriminalamtes Gera mehrere gleichlautende Aussagen von ehemaligen Werksangehörigen aktenkundig gemacht.
Max erreicht Anfang der 40er Jahre seine UK-Stellung („unabkömmlich“; wird nicht zur Wehrmacht eingezogen) mit der Begründung von Wehrmachtsaufträgen, die die Ziegelei erfüllen muss. Da haben seine nationalsozialistischen Kumpane ordentlich nachgeholfen. Von da an, so gewinnt man den Eindruck, waren moralische Bedenken ausgeschaltet. Wie zitiert Karl Marx in seinem Werk „Das Kapital“ den englischen Ökonom J. P. Dunning so schön: „Das Kapital hat einen Horror vor Abwesenheit von Profit, oder sehr kleinen Profit, wie die Natur von der Leere. Mit entsprechendem Profit wird Kapital kühn. Zehn Prozent sicher, und man kann es überall anwenden; 20 Prozent, es wird lebhaft; 50 Prozent, positiv und waghalsig; für 100 Prozent stampft es alle menschlichen Gesetze unter seinen Fuß; 300 Prozent, und es existiert kein Verbrechen, das es nicht riskiert, selbst auf die Gefahr des Galgens.“
Wie treffend! Max macht da keine Ausnahme!
Als die Amerikaner Gera Mitte April 1945 befreien, taucht Max unter, bis die Ostarbeiter „verschwunden“ sind. Als er wieder auftaucht, wie umgewandelt und als ob nichts geschehen wäre, bildet er sich tatsächlich ein, er kann da anknüpfen, wo er „als guter Chef“ irgendwann aufgehört hatte. Aber das geht nicht so einfach und komplikationslos, wie er sich das wünscht. Der Rausschmiss seiner Bürokraft Frau Müller, die sich von den Amis die einzige Schreibmaschine hat mausen lassen, ist ein beredtes Zeugnis für den Fortbestand seiner alten Führungsmethoden. Er war ja nicht da, um die Amis am Raub seines Eigentums zu hindern. Also, was soll das? Muss da Fr. Müller gleich fristlos entlassen werden? Immer noch der alte „Führer“.
Er muss völlig „blind“ für die Veränderungen in der Gesellschaft nach dem verlorenen Krieg durch das Leben gegangen sein. Er hatte seine eigene Wahrheit, Wahrnehmung und Rechtsauffassung. Das ganze Sequestrierungsverfahren, so scheint es, wenn man die Protokolle liest, erreichen ihn nicht. Die riesen große Gefahr, die ihm und seiner Familie droht, unterschätzt er oder erkennt sie gar nicht. Er ist voll auf sich fokussiert. Natürlich werden Einsprüche formuliert, in Weimar persönlich bei den Beamten von „früher“ vorgesprochen. Aber der Wind drehte sich permanent – nur leider nicht in seine Richtung. Eigentlich richtet er nichts aus!
Im Januar 1948 nimmt er noch eine Grundschuld von 95.000,- RM auf! Da war noch gar nicht absehbar, wie das ganze Sequestrierungsverfahren ausgeht – für Max offensichtlich schon.
Nun ist es an der Zeit, das die neuen Machthaber alte Rechnungen begleichen!
Im Frühjahr 1948 endet „seine“ Gerichtsverhandlung mit der vom Oberstaatsanwalt beantragten Einstellung des Verfahrens, weil die Schwere der Schuld (der Umgang mit den Fremdarbeitern) „für eine Verurteilung mit Gefängnis“ nicht ausreicht. War das ein alter „Kumpel“, der ihm noch was schuldig war?
Mit Wirkung vom 12.04.1948 wird der Treuhänder Karl Huth von der Landesverwaltung Landeseigener Betriebe eingesetzt. Die Vollmacht gilt bis zum 31.05. 1948.
Jetzt wird es ernst. Wann nun die „praktische“ Enteignung stattfand (Max des Werkes verwiesen), kann nicht mehr festgestellt werden. Der Verwaltungsakt war auf den 30.06.1948 angesetzt.
Obwohl sich die Vorwürfe allein gegen Max richteten, werden seine Söhne Günther und Heinrich gleich mit enteignet. „Vorsorglich“ sein Wohnhaus in der Ronneburger Str. ebenfalls.
Dieses bekommt er allerdings im Jahre 1950 wieder zurück. Wenigstens etwas, im Gegensatz zu anderen.
Max ist ein gebrochener Mann. Die Aussagen seiner Leute gegen ihn, für die er ja „alles getan hat“, kann er nicht verkraften.
Max wird depressiv, verfällt dem Alkohol, kann sich zu keinem Neustart mehr aufraffen.
Im Januar 1957 stirbt er im 71. Lebensjahr.